Klima, Corona und andere Katastrophen

Unsere Spendenaktion für existentiell bedrohte Familien in der Corona-Krise (Herbstinfo 2020)
(Sarah Well-Lipowski)

32.389 € an „Corona-Spenden“ gingen nach dem Juni-Infobrief bei uns ein, der Corona und die Verwüstungen durch den Zyklon Amphan in unseren Projektgebieten zum Thema hatte. Eine großartige Reaktion – wir danken den SpenderInnen von Herzen! Jeder Euro wurde und wird gebraucht. Auch in Indien war die Hilfsbereitschaft groß: NGO-MitarbeiterInnen, Nachbarn, örtliche Vereine spendeten und organisierten die Ausgabe von Lebensmitteln und Hygieneartikeln.

Seit langem überlassen wir Katastrophenhilfe spezialisierten NGOs. Doch in der akuten Ausnahmesituation entschieden wir uns mit den Partnern, die Bedürftigsten in unseren Projekten individuell mit Lebensnotwendigem zu versorgen. Zunächst dachten wir an Sachleistungen, doch zum Glück lief die staatliche Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und Hygieneartikeln schnell an. Weil jedoch der Lockdown vielen Menschen Arbeit und Einkommen geraubt und zusätzlich der Zyklon Amphan in den Dörfern gewütet hatte, fehlte es in vielen Familien an anderer Stelle am Allernötigsten. Die vielfältigen Nöte der einzelnen Familien wurden vor Ort in Gesprächen ermittelt und die meisten Projektpartner entschlossen sich, den Bedürftigsten Geldbeträge bis zu 35 € zu überweisen, so dass sie selbst entscheiden können, wofür sie das Geld ausgeben. An ca. 1.300 Adivasi- und Dalitfamilien, Menschen mit Behinderung oder schweren Krankheiten, alleinerziehende Frauen wurden bisher 17.400 € überwiesen – bevorzugt auf Bankkonten von Frauen, sind diese doch besonders auf das Wohl ihrer Kinder bedacht.

Die Mütter im Slumprojekt Lake Gardens, Kolkata, sprachen sich allerdings gegen die finanzielle Unterstützung aus. Sie baten um Nahrungsmittel für ihre Kinder, weil sie sich nicht in der Lage fühlten, ihre teils alkohol- und spielsüchtigen Männer vom Missbrauch des Geldes abzuhalten. 34 Kinder erhielten bislang regelmäßig Lebensmittelpakete im Wert von insgesamt 850 €.

Die Hilfen gehen weiter. Neben der großen Not aktuell ist auch langfristig mit der Verschärfung bestehender Probleme zu rechnen. Dazu zählen die Zunahme von extremer Armut, Arbeitslosigkeit, Unter- und Mangelernährung von Kindern. Die Schulen sind seit Monaten geschlossen, die Zahl der Schulabbrecher, Kinderarbeiter und Kinderehen steigt an. Häusliche, auch sexualisierte, Gewalt nimmt zu. Unsere Partner setzen alles daran, in dieser Situation für die Kinder und Frauen da zu sein und sie bestmöglich zu unterstützen. Wir werden im Zuge der Projektplanungen für das nächste Jahr gemeinsam nochmal genau schauen, welche Familien weiterhin dringend Unterstützung benötigen.


Eine der strengsten Ausgangssperren der Welt: Corona-Virus in Indien (Frühjahrsinfo 2020)
(Sarah Well-Lipowski)

Unser Alltag in Deutschland hat sich durch die Corona-Pan­demie radikal gewandelt. Doch in Indien ist die Situation weit gravierender. Dort wurde im Zuge der Pandemie für knapp sechs Wochen eine der strengsten Ausgangssperren weltweit verhängt. Das Haus verlassen durfte nur, wer Lebensmittel besorgen oder zum Arzt musste. Die wochenlange Isolation, die schon für gutsituierte Familien eine Herausforderung dar­stellt, wird für die Ärmsten, die in äußerst beengten Verhält­nissen hausen oder gar obdachlos sind, zu einer existenziellen Bedrohung. Die Ausgangssperre beinhaltete ein Arbeitsverbot für alle, die nicht in systemrelevanten Bereichen (Lebens­mittel, Energie etc.) tätig sind, und trifft vor allem den infor­mellen Sektor1 hart, wo die meisten von der Hand in den Mund leben, ohne Rücklagen oder soziale Absicherung.

Öffentliche Verkehrsmittel wurden im Zuge der Ausgangs­sperre komplett stillgelegt, mit dem Auto, Motor- oder Fahr­rad durfte sich nur fortbewegen, wer eine polizeiliche Erlaub­nis vorweisen konnte. Dutzende Millionen Arbeitsmigranten, die in den großen Megastädten Indiens oder als Saisonarbeiter auf dem Land von einem Tag auf den anderen ihre Arbeit und damit ihren Lebensunterhalt verloren, machten sich zu Fuß auf den teils mehrere hundert Kilometer langen Weg in ihre Heimatdörfer. Ohne Anspruch auf staatliche Hilfen hofften sie, zuhause von ihren Familien aufgefangen zu werden, sofern sie diese lange, strapaziöse Reise in sengender Hitze überlebten. Die Corona-Krise hat die Unsichtbaren, welche sowohl Megastädte wie die Landwirtschaft normalerweise am Laufen halten, sichtbar gemacht.

Auch in unsere ländlichen Projektgebiete in Westbengalen kehrten viele Wanderarbeiter zurück. Dort sorgen die Dorfbewohner sehr sorgfältig dafür, dass alle Neuankömmlinge den Behörden gemeldet werden und sich in Quarantäne begeben. Die Angst vor Ansteckung ist in den meisten Dorfgemein­schaften groß, Geld für eine medizinische Behandlung hat hier kaum jemand. Dass die Quarantänemaßnahmen auch zu Kon­flikten führen können, schildert unser Partner Seva Kendra Calcutta: Im Dorf Damhati kehrte ein Wanderarbeiter zu sei­ner Familie zurück. Unmittelbar nach seiner Ankunft zwangen ihn die Dorfbewohner, für 15 Tage im außerhalb gelegenen Quarantäne-Zentrum zu bleiben. Während dieser Zeit durfte er seine Familie nicht sehen. Nach Ende der Isolie­rung machte er seiner Frau schwere Vorwürfe, warum sie ihn nicht besucht habe, begleitet von körperlicher Gewalt gegen sie und den Sohn. Als die Kinderrechtsarbeiterin Rita Mondal davon erfuhr, schritt sie zusammen mit dem Kinderrechts- und Mäd­chenschutz-Komitee des Dorfes sofort ein. Es kam zu einem klärenden Gespräch, und die Familie wird nun intensiv von den Projektmitarbeitern betreut. Dies ist kein Einzelfall, welt­weit ist eine Zunahme von häuslicher Gewalt im Zuge der Ausgangsbeschränkungen zu beobachten. Deshalb legen wir in unseren Projekten einen starken Fokus auf diese Problematik.

Ration Distribution DMSC
Bedürftige in Senabona, IH-Projekt für Kinder von Dorftänze­rin­nen, stehen Schlange, um kostenlos Lebensmittel zu erhalten             ©: IH

In Westbengalen fällt die Corona-Krise in eine kritische Zeit, in der sowohl Ernte als auch Aussaat unterschiedlicher Nutzpflanzen anstehen, bevor der Monsun beginnt. Wegen der Ausgangssperre fehlen Arbeitskräfte auf den Feldern, zudem ist in vielen Fällen der Transport der Lebensmittel zu den lokalen Märkten bzw. in die Städte nicht möglich. Die Lebensmittelpreise explodieren – Reis, Kartoffeln, Eier kosten teils das Zehnfache. Durch die Schließung aller Schulen verlieren in Indien über 100 Millionen Schülerinnen und Schüler ihre täglichen Schulmahlzeiten. Der Welternährungsausschuss der UN (CFS) warnt, dass sich die Corona-Pandemie zu einer Welternährungskrise entwickeln könnte, von der gerade Indien schwer getroffen werden würde. Ein Teufelskreis, denn vom Hunger geschwächte Menschen sind für das Corona-Virus anfälliger, können sich aber keine teure intensivmedizi­nische Behandlung leisten.

Um der drohenden Hungersnot entgegen zu wirken, lässt die indische Regierung Lebensmittelrationen an Menschen in extremer Armut verteilen. Einen Anspruch darauf hat aller­dings nur, wer eine „Ration Card“ vorweisen kann oder einen Ersatz-Coupon beantragt. Viele bedürftige Menschen fallen durch dieses Raster und leiden Hunger, ihnen gilt es schnellstmöglich zu helfen.

Wie in vielen Teilen der Welt greifen in der Corona-Krise auch in Indien Verschwörungstheorien um sich. Sie richten sich oft gegen die muslimische Minderheit im Land, die schon „vor Corona“ verstärkt mit Anfeindungen konfrontiert war. So wird den indischen Muslimen z.B. unterstellt, sie würden den Virus gezielt verbreiten, um Hindus zu schaden. In den sozia­len Medien kursieren Aufrufe, nicht bei Muslimen einzu­kaufen und sie zu meiden. In einigen abgelegenen muslimisch geprägten Dörfern im Projektgebiet unseres Partners Seva Kendra Calcutta war tatsächlich ein achtloser Umgang mit den verordneten Hygiene-Regeln zu beobachten, was aber nicht mit dem Glauben der Menschen, sondern mit fehlender Bildung und Unwissenheit zu tun hat. Gerade hier ist Aufklärungsarbeit über die dringende Notwendigkeit von Hygiene- und Abstandsmaßnahmen wichtig. Ebenso wichtig ist es, solch gefährlichen Falschmeldungen entgegen zu wirken, die sonst schnell zu gewaltsamen Unruhen führen könnten.

Social Distance in Gopindapur
Projektmitarbeiterin von Seva Kendra Calcutta bringt Boden­markierungen an, um für genügend Abstand in der Schlange vor dem Dorfbrunnen in Gobindapur zu sorgen. ©: IH

Andererseits gibt es auch in Indien überraschend positive Auswirkungen der Corona-Pandemie: Neben verbesserter Sauberkeit von Flüssen und Luft hat die Krise in einigen Teilen des Landes – zumindest zeitweise – zu einem Rück­gang kastenbasierter Diskriminierung geführt, teilweise sind die offiziellen Meldungen bezüglich solcher Vorfälle um bis zu 95% zurückgegangen. Hier scheint die Gesellschaft enger zusammenzuwachsen, es ist eine spontane Hilfsbereitschaft gegenüber Bedürftigen festzustellen, unabhängig von ihrer Kasten-Zugehörigkeit.2

Die offizielle Zahl der Corona-Infizierten ist in Indien bislang vergleichsweise niedrig, doch dürfte die Dunkelziffer weitaus höher liegen. In ganz Indien sind die Testkapazitäten gering, die wenigen funktionstüchtigen Corona-Testlabore befinden sich in den großen Städten.3 Besonders besorgniserregend sind die Nachweise von Covid-19-Infektionen in den großen Slums der Metropolen wie Kolkata. Das Virus könnte sich hier rasend schnell ausbreiten. Die Situation in den überfüllten Slums ist durch die Ausgangssperre noch unerträglicher geworden. Alle Familienmitglieder verbringen nun den ganzen Tag in brütender Hitze zusammen auf wenigen Quadratmetern, die sie normalerweise im Rotationsverfahren bewohnen, da immer jemand draußen oder bei der Arbeit ist. Der mangelnde Zugang zu sauberem Wasser und Hygiene­artikeln, fehlende Abwasserbeseitigung und chronische Atem­wegserkrankungen (auch wegen der normalerweise extremen Luftverschmutzung) machen die Situation in den Städten in Bezug auf Corona besonders gefährlich, weil das öffentliche Gesundheitswesen einem großflächigen Ausbruch von Covid-19 nicht gewachsen wäre. In Italien, wo das Gesundheits­system im Zuge der Pandemie an seine Grenzen geraten ist, liegt die Zahl an Intensivbetten pro 100.000 Einwohner sechs­mal höher als in Indien.4 Es ist abzusehen, dass die Ärmsten am schlimmsten unter dem Virus mit all seinen Begleit­erscheinungen leiden werden, wenn nicht massiv präventiv gehandelt wird5. Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Privat­personen – alle können dazu beitragen, die Situation der Armen zu lindern. Für die Zukunft aber sind politische Verän­derungen für eine gerechtere Verteilung der Ressourcen im Land notwendig.

Mittlerweile wird auch in Indien die strenge Ausgangssperre schrittweise gelockert. Um den lokalen Gefährdungslagen gerecht zu werden, ist das ganze Land, bis in einzelne Stadt­viertel hinein, in sog. rote, orangene und grüne Zonen aufge­teilt. Unglücklicherweise liegen fast alle unsere Projekte in roten Zonen, in denen viele Corona-Fälle nachgewiesen sind und daher sehr strenge Beschränkungen bestehen bleiben. Hier gilt es nun, den am schwersten Betroffenen schnell und effektiv zu helfen.

Weitere Artikel zu unserer Projektarbeit in Zeiten von Corona finden Sie hier:


Die Lage in Indien verändert sich täglich, wie bei uns auch. Regelmäßig aktuelle Informationen zu Indien und Covid 19 finden Sie unter folgenden Links:


1) 87% der Arbeitskräfte in Indien sind im informellen Sektor tätig: ohne vertragliches Arbeitsverhältnis, weitgehend rechtlos, ohne soziale Absicherung, als Tagelöhner, Wanderarbeiter, in der Landwirtschaft, am Bau, bei Hilfsarbeiten, im Recycling, im Dienstleistungsgewerbe oder auch als „selbstständige“ Straßenverkäufer, Taxifahrer, Heimarbeiterinnen u.v.m.; s. „Extreme Disorder“ in: Down to Earth, Special Edition, 16-30 April 2020
2) https://indianexpress.com/article/cities/ludhiana/common-enemy-corona-helps-rural-punjab-bury-caste-faultlines-6370857/
3) In Indien werden sehr wenige Tests im Verhältnis zur Einwohnerzahl durchgeführt. Covid-19-Tests sind teuer; Ausgaben hierfür fehlen im Gesundheitssystem an anderer Stelle. https://booksandideas.net/The-Covid-19-Crisis-in-India.html
4) https://www.statista.com/chart/21105/number-of-critical-care-beds-per-100000-inhabitants/
5) In Indien bedroht das Corona-Virus insbesondere die große Zahl an Menschen mit gravierenden Vorerkrankungen wie Unterernährung, Tuberkulose, chronische Atem- und Herzbeschwerden. Es wird damit gerechnet, dass man zum Höhepunkt der Epidemie bis zu 1 Million Beatmungsgeräte brauchen könnte. Ende März waren in staatlichen Krankenhäusern weniger als 8.500 Beatmungsgeräte vorhanden, die meisten davon in den Mega-Städten


Hijli Inspiration – unser neuer Partner für die Begleitmaßnahmen im Trinkwasserprojekt Chatra
(Weihnachtsinfo 2019)

Während im Rahmen des NaKoPa-Projekts Herrsching-Chatra auf die Baugenehmigung gewartet wurde (siehe oben), arbeitete unser neuer Partner Hijli Inspiration bereits intensiv mit den 150 Familien im Ghoshpur Adivasi Para von Chatra. Hijli Inspiration hatte zum 1.10.2018 unseren damaligen Partner DRCSC abgelöst, der die Zusammenarbeit einseitig und kurzfristig aus internen Gründen zum 30.9.18 kündigte. Wir sind sehr froh, mit Hijli Inspiration schnell einen kompetenten Partner gefunden zu haben, der nicht nur die Kontinuität der Aktivitäten lückenlos gewährleisten konnte, sondern auch über weitreichende Erfahrungen im Bereich Trinkwasser & Hygiene sowie in der Zusammenarbeit mit entsprechenden Regierungsstellen verfügt.

Ein Arbeitsschwerpunkt für das Team sind Aufklärungsmaßnahmen zum Thema „sauberes Trinkwasser“. Die Adivasi-Familien verfügen über individuelle Schwengelpumpen, wobei das hochgepumpte Wasser bei den meisten nicht nur mit Arsen, sondern auch mikrobiell verseucht und gesundheitsschädlich ist.

Inspiration
Schüler der Ananda Niketan Schule Chatra informieren Kinder im Ghoshpur Adivasi Para über die Aktivitäten ihres Öko-Clubs (©: IH)

Die Mitarbeiter von Hijli Inspiration klären über die Zusammenhänge auf, wie wichtig sauberes und arsenfreies Trinkwasser zum Kochen und Trinken ist, und sprechen Themen wie persönliche Hygiene und gesunde ausgewogene Ernährung an. Die Familien werden bei der Anlage von chemiefreien Obst- und Gemüsegärten angeleitet und mit Saatgut unterstützt. Inspiration fördert die Gründung von Spar- und Kreditgruppen (Self Help Groups) von Frauen und organisiert Hausaufgabenbetreuung für die Kinder. Gleichzeitig bemühen sie sich um die Aktivierung der Wassernutzergruppe im Adivasi Para und des offiziellen Village Water and Sanitation Committee.

Das Projekt ist eng verknüpft mit der seit 1995 bestehenden Städte-Freundschaft, seit 2005 -Partnerschaft, Herrsching-Chatra, in deren Rahmen das Trinkwasser-Projekt initiiert wurde, und so ist die Begleitung der Partnerschaftsaktivitäten, vor allem auch der Schulpartnerschaften, eine wichtige Aufgabe für das Team.

Spendenstichwort: Nachhaltige Dorfentwicklung
Benötigte Summe: 24.000 Euro


Weihnachtsinfo 2017

Leuchtturmprojekt „Grüne Kommunen für nachhaltige Entwicklung“ – jetzt auch in Chatra

(Marion Schmid)

Aila, der verheerende Zyklon im Mai 2009, war Ausgangs­punkt für unsere Zusammenarbeit mit DRCSC (Development Research Communication and Services Centre) in den Sundarbans, den Mangrovengebieten des Gangesdeltas im Nord-24-Parganas-Distrikt, im Dorf Perghumti, Kalitala Gram Panchayat[1]. Später weiteten wir das Projekt „Green Panchayats for Sustainable Development“ auf einen zweiten Standort in einem Trocken­gebiet aus, den Purandarpur GP[2]. Wichtige Ziele sind die Anpassung an den Klimawandel durch angepasste Landbau­methoden, Nahrungs­sicherheit durch Schul- und Familien-Küchengärten, höheres Familieneinkommen durch Fort­bildungen für verbesserte Nutzung natürlicher Ressourcen, Selbstorgani­sation und Nutzung staatlicher Programme, sowie Wahrung der Kinder­rechte (Schulbildung, Schutz vor Gewalt). Gegen Ende der zweiten Phase im Dezember 2016 beauftrag­ten wir Experten von IBRAD (Indian Institute of Bio-Social Research & Development) mit einer Wirkungsstudie über die Arbeit der letzten 6 Jahre. Solche externen Studien sind wichtig, um zu sehen, ob die Ziele mit dem eingesetzten Personal und den durchgeführten Maßnahmen tatsächlich erreicht werden, ob Aufwand und Nutzen in einem guten Verhältnis stehen, ob es unerwünschte Nebeneffekte gibt. Die Evaluatoren geben Empfehlungen für eine Verbesserung der Arbeit, über Fort­führung oder Abschluss von Projekten. Im März 2017 beschloss der Arbeitsausschuss der IH: Wir erwei­tern das Projekt um den Chatra Gram Panchayat, Herrschings Partnergemeinde, als dritten Standort für eine ökologisch nachhaltige Land­wirtschaft und die Stärkung besonders armer Bevölkerungs­gruppen in West­bengalen. Wir wollen damit das Trink­wasserprojekt (s. Seite 5) flankieren, z.B. durch ökologischen Landbau im zukünftigen Wasserschutzgebiet, und gleich­zeitig ein Zeichen gegen die besorgniserregende Entwicklung welt­weit setzen.

Fokusgruppendiskussion
Das Evaluierungsteam von IBRAD während einer thematischen Gruppensitzung   Bild: IH

Wenige Agrarkonzerne bestimmen heute die Trends in Landwirtschaft und Ernährung. Sechs Unternehmen kontrol­lieren 75 Prozent des globalen Agrarchemiemarktes und über 60 Prozent des Saatgutmarktes. Mit der Fusion von Bayer und Monsanto rollt eine weitere Markt- und damit Machtkonzent­ra­tionswelle auf uns zu. Dann kontrollieren 3 Saatgut­konzerne größtenteils unser Saatgut und damit die Lebens­grundlage für die Ernährung der Menschheit. Bauern und Bäuerinnen geraten  in  noch  stärkere  Abhängigkeitsverhält­nisse.[3]  Die Behauptung, dass nur mit industrieller Landwirt­schaft und gentechnisch veränder­ten Produkten die wachsende Weltbe­völkerung ernährt werden kann, ist unhaltbar, so Vandana Shiva, indische Wissen­schaftlerin und Aktivistin. Für ihr Engagement für Umweltschutz und nachhaltige Land­wirt­schaft erhielt sie 1993 den alternativen Nobelpreis. Sie hat ökologische und industrialisierte Systeme jahrzehntelang vergleichend untersucht und kam zu dem Ergeb­nis, dass öko­logischer Landbau produktiver ist, weil mit möglichst wenig Ressourcenverbrauch nachhaltig möglichst viel Ertrag erwirt­schaftet wird. Indien könnte durch ökolo­gische Landwirt­schaft, so Shiva, den Kontinent zweimal ernähren.[4]

Kleinbauernfamilien aus den armen Regionen der Welt sind von den aktuellen Entwicklungen besonders betroffen, wie auch diejenigen aus unserem Projektgebiet in Westbengalen. DRCSC befasst sich seit den 1980er Jahren mit sozialen, wirt­schaftlichen und ökologischen Fragen in ihrer Bedeutung für die wirtschaft­lich schwächsten Gruppen der indischen Gesell­schaft. Als Forschungs-, Dokumentations- und Aktions­zentrum – eine Art „Öko-Institut“ – arbeitet DRCSC für Ernährungssicherheit durch die Entwicklung nachhaltiger und widerstandsfähiger Agrar­systeme, die Verbesserung klein­bäu­erlicher Einkommen durch die Nutzung und Verarbeitung natürlicher Ressourcen, für eine langfristig gerecht ausge­richtete Agrar-, Wirtschafts- und Sozial­politik, für die Ausbil­dung von Umweltaktivisten, für die Sensibilisierung der Mittelschicht, soziale und ökologische Kriterien bei ihrem Kaufverhalten und ihrem Lebensstil zu berücksichtigen.

Seit 2005 arbeitet die Indienhilfe mit DRCSC zusammen, zunächst beim Aufbau von Öko-Clubs an ländlichen Schulen. Schulkinder lernten ganz praktisch, die lokale Arten­vielfalt zu erfassen, die Bevölkerung über die ökologischen Zusammen­hänge mit kreativen Methoden aufzuklären und selbst aktiv zu werden. Nach „Aila“, 2009, begannen wir unser gemein­sames Projekt „Green Panchayats“. Bis März 2017 konzentrierte sich DRCSC auf zwei Klimazonen: der Kalitala GP in den Sundarbans zeichnet sich durch häufige Überflutungen mit Versumpfung und Versalzung und durch Zerstörung von Behau­sungen, Feldern und Vieh wegen häufigerer und stärkerer Zyklone aus. Die Bevölkerung gehört zu den Ärmsten der Armen. Die Volkszählung 2011 ergab 83 Prozent Dalits, 4 Prozent Adivasis und 5 Prozent Other Back­ward Castes. Purandarpur bei Bolpur im Birbhum-Distrikt dagegen liegt in einer Trockenzone mit roten Laterit­böden mit geringer Wasserspeiche­rungsfähigkeit. Es ist trocken und heiß, im Winter kalt und windig und der Monsun­regen ist besonders heftig und fließt sofort ab. Trotz der ungünstigen Voraussetzungen leben 70 Prozent der Menschen dort von der Landwirtschaft. Die Gesellschaft setzt sich ähnlich wie in den Sundarbans zusammen.

In beiden Gebieten motiviert und trainiert DRCSC seither die Bauern und landlosen Pächter für eine nachhaltige ökologi­sche Landwirtschaft. Sie stellen den Ackerbau immer mehr von Monokultur auf Mischkultur um, fangen Regenwasser zur Absicherung der Trinkwasserversorgung auf, pflanzen Reis­sorten an, die den örtlichen Bedingungen standhalten und erlernen die Produktion eigenen Saatguts. Es gibt Workshops zur Herstellung von biologischem Pflanzenschutz und von Kompost­, sowie die Einführung des Modellierens der nutz­baren Flächen in mehreren Etagen, des sogenannten „Integrated Farming System“. Und DRCSC leitet in den kargen Gegenden Familien und schulische Öko-Clubs an, Küchen- und Schulgärten mit Gemüse und Obst anzulegen. Hierfür nehmen die Frauen, die sich zu Selbsthilfegruppen zusammengeschlossen haben, an Workshops teil und bekom­men für den Beginn Samen und Setzlinge für Blattgemüse, Hülsenfrüchte, Obstbäume, Beerensträucher etc. und lernen, diese selber nachzuziehen.

Küchengarten
Familie Mondal zeigt solz ihren Küchengarten   Bild: IH

Lehrkräfte zu finden, die zusätzliche Aufgaben wie die Leitung der Öko-Clubs ehrenamtlich übernehmen. Viele von ihnen pendeln jeden Tag mehrere Stunden, um in den entlege­nen Dorfschulen unterrichten zu können. Es erfordert viel Geduld für die Mitarbeitenden von DRCSC, hier nicht aufzu­geben, sondern den Mehrwert zu sehen, Kinder und junge Erwachsene aktiv mit einzubeziehen. Betreut wird das Projekt seit einem Jahr von Anirban Banerjee, einem langjährigen erfahrenen Mitarbeiter von DRCSC. Für die Indienhilfe ein absoluter Glücksgriff – Anirban war mit Projekt­gebieten und -konzept bereits vertraut. Wie alle Koordinatoren und Koordinatorinnen unserer Projekte nahm er dieses Jahr am dritten und letzten Workshop der Karl Kübel Stiftung zum Thema Kinderschutz teil. Wir sind im Moment dabei, in allen Projekten der Indienhilfe eine „Child Protection Policy“ zu erarbeiten. Anirban unterstützte das Team von IBRAD für einen reibungs­losen Ablauf der Wirkungsstudie. Insgesamt wurden dafür 125 Haushalte von IBRAD befragt, drei Schulen besucht und 6 Fokusgruppendiskussionen in beiden Gram Panchayats durch­geführt.[5] Das Ergebnis kann sich sehen lassen, denn die Studie weist die positiven Wirkungen des Projekts auf das Leben der Zielgruppen nach. Ein Resultat ist ein erkennbarer Rück­gang der Arbeitsmigration. Viele landlose Tagelöhner sahen nach dem Zyklon Aila 2009 als einzige Perspektive, die Heimat zu verlassen und im Landesinneren Arbeit zu finden. Viele Monate im Jahr waren sie von ihren Familien getrennt, um während der Erntezeit in fruchtbareren Gegenden zu arbei­ten. Der Aufbau von Küchengärten in den betroffenen Haus­halten hat dazu geführt, dass die meisten Menschen sich das gesamte Jahr über selbst versorgen können. Viele haben inzwischen eine so gute Ernte, dass sie das überschüssige Obst und Gemüse auf dem lokalen Markt verkaufen können. Dennoch gibt es im Projekt noch Verbesserungspotential: So wurden 30 rauchfreie Lehmöfen mit geringerem Bedarf an Brennmaterial in den Hütten der Ziel­gruppen instal­liert, doch mangels Aufklärung über die Vorteile und Schulung in der Handhabung der Öfen sind viele noch nie benutzt worden! Es ist wie bei allen Projekten der Indien­hilfe (und ganz wie bei uns) ein langer Weg bis zu einem Bewusst­seinswandel und dauerhaft verändertem Verhalten.

[1] Gram Panchayat = Kommune, mit einer Reihe eingemeindeter Dörfer/ villages.

[2] siehe ausführlicher Bericht im Sommerinfo 2014

[3] Inkota: Fusion von Bayer & Monsanto: https://www.inkota.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-2016…

[4] Interviews mit V. Shiva: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/g20-globalisierungskritikerin… und http://www.dw.com/de/shiva-nur-kleinbauern-k%C3%B6nnen-die-welt-ern%C3%…

[5] Der Bericht kann jederzeit bei der Indienhilfe unter email@indienhilfe-herrsching.de als pdf angefordert werden


Auszug aus Indienhilfe-Sommerinfo 2014: Leuchtturm-Projekt „Grüne Kommunen“ – Widerstandskraft der ärmsten Bevölkerung gegen Auswirkungen des Klimawandels stärken

Die Schwachen stärken - nachhaltige Projektarbeit  2014/2015

Elisabeth Kreuz

600 Millionen Inder, das sind gut die Hälfte der Bevölkerung, sind unter 25 Jahre alt. In ihren Händen liegt Indiens Zukunft. Die Chancen sind sehr ungleich verteilt – die Kinder der Armen oder Ausgegrenzten (700 Mio. Inder mit einem Tageseinkommen von unter 2 Dollar) sind in vieler Hinsicht benachteiligt und gefährdet, wobei Unter- und Mangelernährung, Kinderarbeit statt Schule, Gewalt, Missbrauch und Verwahrlosung eine besonders große Rolle spielen. „Modelle dauerhafter Verbesserung der Lebenssituation von Kindern von 0 bis 18 Jahren in ausgewählten besonders armen ländlichen oder städtischen Wohnvierteln schaffen“ lautet deshalb kurz gefasst das Hauptziel aller von der Indienhilfe unterstützten Projekte.1)

Wie wollen wir aktuell diesem Ziel näher kommen, in welchen Gebieten sind wir tätig und wer sind unsere Projektpartner vor Ort? Im Herbstinfo 2013 gaben wir Ihnen einen Überblick über die Vielfalt in den Handlungsansätzen unserer Projekte. Heute informieren wir Sie über einige aktuelle Entwicklungen in unserer Projektarbeit.

Focus Group Discussion in Purandapur
Focus Group Discussion in Purandapur (Projekt mit DRCSC: Grüne Kommunen)

Geographische Schwerpunktsetzung:

Wie bereits angekündigt, konnten wir zum Ende des letzten indischen Finanzjahres 2013-14 die Partner SHED in Odisha und Bikash im Bankura Distrikt/ Westbengalen in die Selbstständigkeit entlassen. Bikash erhält jetzt staatliche Unterstützung für seine Behindertenarbeit. Im Rayagada Distrikt in Odisha, wo SHED seinen Sitz hat, ist die Deutsche Welthungerhilfe mit dem Projekt „Fight Hunger First“ aktiv, gemeinsam mit den dort lebenden Adivasi und ansässigen NGOs2) – dies machte der Indienhilfe den Entschluss leichter, sich aus Odisha zurückzuziehen und die finanziellen und personellen Kräfte auf den indischen Bundesstaat Westbengalen zu konzentrieren, wo die Indienhilfe 1979 ihren Anfang genommen hat.3)

Wir arbeiten derzeit in ausgewählten Dörfern in den Distrikten West Midnapur, Nord24-Parganas, Birbhum sowie einigen Slumvierteln (Bastis) in Kalkutta mit sechs Partner-NGOs zusammen, die sieben große Projekte durchführen.

Schwerpunktsetzung bei unseren Entwicklungsmaßnahmen

Wie immer geht es der Indienhilfe darum, mit einem Minimum an finanziellem  Aufwand einen möglichst großen und vor allem dauerhaften Selbsthilfe-Effekt bei möglichst vielen Kindern und deren Familien zu erreichen, die unter extremen Armutsbedingungen leben, meist Angehörige der Adivasi, Dalits und oft auch Muslime.

Wir investieren überwiegend in die direkte Arbeit mit den Menschen, durch die sie in ihrer persönlichen (gesundheitlichen wie emotionalen und geistigen), sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung gefördert werden, so dass sie eine bessere Chance auf ein gutes Leben haben – unter welchen äußeren Umständen auch immer.

Dazu gehören die erfolgreiche Integration von Kindern in die staatlichen Bildungseinrichtungen von der Vorschule bis zum Abschluss mindestens der 8. Klasse, Information und Schulung von Erwachsenen wie Kindern zu für sie lebenswichtigen rechtlichen Fragen, zu ihnen zustehenden sozialen und armutsbekämpfenden Programmen der Regierung, zu Organisationen, die ihnen bei Problemen weiterhelfen können (z.B. Notrufe für Frauen und Kinder). Die Personen, die mit den Kindern arbeiten, z.B. in den Krippen oder bei der Hausaufgabenbetreuung, werden für einen einfühlenden und wertschätzenden, liebevollen Umgang mit den Kindern geschult, um deren Selbstwertgefühl zu fördern, ebenso wie im Erkennen der Symptome von Gewalt und Missbrauch bei Kindern und entsprechendem Eingreifen.

Spezielle Projektmaßnahmen zielen darauf, Erwachsene und Kinder zu motivieren und zu befähigen, sich bürgerschaftlich für ihre eigenen Interessen und die anderer Benachteiligter zu engagieren, z.B. in FrauenSelbsthilfegruppen (Self Help Groups) oder Youth Action Groups. Sensibilisierung der Gesellschaft für Ungerechtigkeiten, für nicht hinnehmbare und gegen die Gesetze verstoßende Praktiken der Ausbeutung, z.B. durch Kinderarbeit, und für latente oder offene Gewaltanwendung in der Erziehung ist ein weiteres wichtiges Feld.

Alle Projekte umfassen Aktivitäten, die – ergänzend zu den Regierungsmaßnahmen - die Ernährung verbessern und Armut und Hunger bekämpfen sollen, sei es durch Küchen- und Schulgärten, sei es durch die Einführung neuer ökologisch verträglicher Agrarsysteme, die unter erschwerten Umweltbedingungen (Auswirkungen des Klimawandels) und auf geringem Raum vielfältige pflanzliche wie tierische Produkte hervorbringen, sei es durch Stipendien für Ausbildungskurse in gefragten Berufen, z.B. für Angehörige der Krippenkinder in Kalkuttas Slums, sei es durch Überwachung (Einnahme der Mahlzeiten durch die Kinder an Ort und Stelle) und Verbesserung des staatlichen MittagsmahlProgramms an Mutter-Kind-Zentren und Schulen.

Leuchtturm-Projekte

Erstmals haben wir drei „Leuchtturm-Projekte“ mit besonders erfolgreichen innovativen Ansätzen langjähriger bewährter Partner ausgewählt, für deren Finanzierung mit einem Mindestbetrag von ca. 35.000 Euro jährlich wir für einen längeren Zeitraum die Verantwortung übernehmen wollen. Beispielhaft stellen wir hier das Projekt unseres Partners DRCSC ausführlicher vor:

Leuchtturm-Projekt „Grüne Kommunen“ – Widerstandskraft der ärmsten Bevölkerung gegen Auswirkungen des Klimawandels stärken

Unser Partner DRCSC (Development Research and Communication Service Society) befasst sich seit 1982 mit sozialen, wirtschaftlichen und seit 1992 auch mit ökologischen Fragen in ihrer Bedeutung für die wirtschaftlich schwächsten Gruppen der indischen Gesellschaft. Als Forschungs-, Dokumentations- und Aktionszentrum arbeitet DRCSC für Ernährungssicherheit durch die Entwicklung nachhaltiger und widerstandsfähiger Agrarsysteme, die Verbesserung kleinbäuerlicher Einkommen durch die Nutzung und Verarbeitung natürlicher Ressourcen, für eine langfristig und gerecht ausgerichtete Agrar-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, für die Ausbildung von Umweltaktivisten durch schulische Öko-Clubs und für die Sensibilisierung der Mittelschicht, soziale und ökologische Kriterien bei ihrem Kaufverhalten und in ihrem Lebensstil zu berücksichtigen. DRCSC kooperiert mit einer Reihe großer auch internationaler Entwicklungsorganisationen.

Mit kleineren, flexiblen Partnern wie der Indienhilfe können neue Ansätze erprobt werden, bevor die Erfahrungen auf Großprojekte übertragen werden.

Die Frühlings-Tag- und Nachtgleiche führte 2014 zu einer ungewöhnlich hohen Gezeitenflut in der Bucht von Bengalen. Der Meeresspiegel und die Temperatur des Meeres steigen seit Jahren mit dem Klimawandel unaufhaltsam an und verstärken die natürlichen Phänomene. Trotz der schützenden Mangrovenwälder der Sunderbans erwischte es die Insel Mousuni, nah am offenen Meer, besonders schlimm. Zwölf Kilometer Deichanlagen wurden beschädigt, große Teile der Insel überflutet, hunderte Lehmhäuser schwemmte es mit den Habseligkeiten der Bewohner weg, tausende Menschen mussten Zuflucht in Notlagern oder Zelten suchen. World Wide Fund for Nature und School of Oceanographic Studies, Jadavpur Universität Kolkata, stellten in einer gemeinsamen Studie4) fest, dass bis 2050 eine Million Menschen in den Sunderbans von Überflutung betroffen sein würden und dass die Regierung eine Umsiedlung der Menschen von den exponierten Inseln des Gangesdeltas in sicherere Gegenden planen müsse.

Seit der Verwüstung durch den Zyklon Aila 2009 finanzierte die Indienhilfe Maßnahmen in Pergumti im Gangesdelta südöstlich von Kalkutta, einem besonders schwer erreichbaren Dorf in der Kommune (Gram Panchayat = GP) Kalitala, wo während des ganzen Jahres Nahrungsmangel herrschte. Die Umstellung des Ackerbaus von Monokultur auf Mischkultur, Auffangen von Regenwasser zur Absicherung der Trinkwasserversorgung, Einführung salztoleranter Reissorten, biologischer Pflanzenschutz, Kompostherstellung, Gründüngung und Einführung des sog. Modellierens der nutzbaren Flächen in mehreren Etagen (Teich mit Fischen und Enten, Gerüste für rankende Gemüsesorten, Bepflanzung der Teich-Einfassungen und Bewässerung der Felder neben dem Teich – Integrated Farming System/IFS), Produktion eigenen Saatgutes führten zu besserer Anpassung an klimawandelbedingte Anomalien und zur Stabilisierung der landwirtschaftlichen Einkommen und der Ernährungssituation für zuletzt 230 Haushalte.

Frauen-Selbsthilfe-Gruppe
Treffen einer Frauen-Selbsthilfe-Gruppe im Projektgebiet von DRCSC Pergumthi (Sundarbans).

DRCSC kümmerte sich um Küchengärten mit Gemüse und Obst fast rund um’s Jahr in sechs Mutter-und-Kind-Zentren und Grundschulen sowie einer höheren Schule zur Anreicherung der staatlichen Schulspeisung. Die Frauen, die sich zu sechs Frauen-Selbsthilfegruppen zusammengeschlossen haben, nahmen an Workshops zur Anlage von Küchengärten (nutrition gardens) teil und bekamen anfangs ausgewählte Samen und Setzlinge für Blattgemüse, Hülsenfrüchte, Obstbäume, Beerensträucher, Gewürze, Heilkräuter, Hackfrüchte (Kartoffeln, Rüben), die sie nun selber nachziehen, sowie Hühner, Enten und Ziegen. Die Küchengärten düngen sie mit Kompost und bewässern sie mit gesammeltem Regenwasser. Die in Bauerngruppen (Farmers’ Groups) organisierten Männer nahmen an Fortbildungen teil, in denen sie angepasste Methoden des Öko-Landbaus kennen lernten und die richtige Auswahl von Pflanzen, Fischen und Tieren für den Aufbau eines integrierten Farmsystems.

Die Indienhilfe bestand darauf, auch direkt etwas für die Kinder zu tun. So wurden an mehreren Schulen die mangelhaften hygienischen und sanitären Verhältnisse thematisiert. Schüler-Teams säubern im Turnus die Umgebung der Schulen und die Toiletten. Auch kleine Schüler werden bereits im Anbau von Gemüse im schuleigenen Küchen-garten ausgebildet und sind stolz auf ihre Ernte, die ihnen beim Schulessen selbst zugute kommt. Nebenbei lernen sie Insekten, Vögel, Bodenstruktur und –beschafffenheit kennen. Für DRCSC war es nicht leicht, Zugang zu den Schulen zu bekommen – es erfordert weiterhin viel Geduld und nicht nachlassende Bemühungen.

2014 wurde das Projekt auf die beiden übrigen Dörfer im Kalitala Gram Panchayat, Samsernagar und Kalitala,ausgeweitet. Während sich der Klimawandel in den Sunderbans durch Versumpfung und Versalzung wegen der häufigen Überflutungen und durch Zerstörung von Behausungen,  Feldern und Vieh durch die Zunahme an Zyklonen  auswirkt, sehen die Bedrohungen in den übrigen Klimazonen Westbengalens wieder ganz anders aus. DRCSC schlug der Indienhilfe vor, 2014 im Rahmen des Leuchtturmprojekts sieben von vierzehn Dörfern des Purandarpur GP im Birbhum Distrikt ins Projekt zu nehmen, in einer ganz anders gearteten „agroökologischen und klimatischen Stress-Zone“. Dort herrscht roter Lateritboden mit geringer Wasserspeicherungs-fähigkeit vor, es ist sehr trocken mit Ausnahme der oft heftigen Monsunregenfälle, sommers besonders heiß, winters besonders kalt. Trotz der ungünstigen Voraussetzungen leben 70 Prozent der Menschen von der Landwirtschaft. Regenfeldbau, Monokulturen, Absinken des Grundwasserspiegels, Entwaldung, Verlust an Artenvielfalt, beschleunigte Erosion von fruchtbarem Boden, illegaler Bergbau sind Charakteristika dieser Klimazone, in der der Anteil von Adivasi an der Bevölkerung besonders hoch ist.

Die Erfahrungen in unserem neuen Projektgebiet werden Thema in einem unserer nächsten Infobriefe sein.

1) von der Homepage herunterladen oder kostenlos bei uns anfordern: IH-Projektkonzept-Kindeswohl_2011

2) Non Governmental Organizations

3) Westbengalen ist flächenmäßig kleiner, hat aber mit einer Bevölkerung von 91 Millionen mehr Einwohner als Deutschland (2011).


Indienhilfe-Herbstinfo 2012:

"Unser Land ernährt uns wieder!"
Klimaanpassung im Gangesdelta: Integrierte Anbaumethoden bringen neue Zukunftsperspektiven für Pergumtis Bauern

(Sabine Jeschke)

„Vor drei Jahren musste ich meine Familie jedes Jahr für mindestens  sechs Monate verlassen, um in der Stadt Arbeit zu finden. Nun gehe ich nur noch für  zwei Monate in die Stadt,  weil ich gelernt habe, wie ich unser kleines Landstück so bepflanzen kann, dass wir fast das ganze Jahr über ausreichend Nahrung haben“, freut sich Tarun Baulia. Der 32jährige Bauer wohnt mit seiner Frau, seinem kleinen Sohn und seiner Mutter im Dorf Pergumti in den Sunderbans (Gangesdelta). Im Mai 2009 verlor die Familie durch den Zyklon Aila ihr Haus und ihre Nutztiere. Das eindringende Salzwasser zerstörte die Ernte und machte einen Großteil ihres Ackerlandes unfruchtbar. Unmittelbar nach dem Zyklon fand die Familie für einen Monat Zuflucht in der örtlichen Schule, dann musste Tarun Baulia für ein Jahr in die Stadt gehen, um Geld für das Überleben der Familie zu verdienen.

Tarun Baulia
Auch in den Reisfeldern werden Fische, Enten und andere Tiere eingesetzt, um die Reissetzlinge mit Nährstoffen zu versorgen.
Foto: DRCSC

Mitte 2010 trat Tarun Baulia der Bauerngruppe bei, die unsere Partnerorganisation DRCSC1) ins Leben gerufen hat. Zunächst nahm er an verschiedenen Trainings und Schulungen teil und lernte, welche ökologischen Methoden (Anlage von Kompost aus Küchen- und Gartenabfällen, Dünger aus Kuh-Urin etc.) es gibt, um gegen die Versalzung vorzugehen und die Fruchtbarkeit des Bodens zu erhöhen. Im Jahr 2011 wurde er ausgewählt, mit Hilfe von DRCSC das sog. „Integrierte Anbausystem“ modellhaft auf seinem Land einzuführen, bei dem die Produktion selbst auf winzigen Anbauflächen so diversifiziert werden soll, dass den Familien eine ausgewogene Ernährung und sichere Erträge ermöglicht werden. Dabei wird die zur Verfügung stehende Grundfläche auf mehreren Ebenen möglichst intensiv zur Bepflanzung und Nutztierhaltung eingesetzt. Über einem Teich, in dem Fische, Enten, Garnelen etc. leben, werden mit Hilfe von Bambusgestellen rankende Pflanzen wie Kürbisse und Bohnen gezogen. Auf den Dämmen zur Uferbefestigung sowie dem umliegenden Ackerland werden Obstbäume, Reis und Gemüse angebaut. Die aufeinander abgestimmte Kombination von Pflanzen und Nutztieren sorgt für einen weitgehend geschlossenen Nährstoffkreislauf, der die Fruchtbarkeit des Bodens erhöht und der Versalzung des Bodens entgegenwirkt. Durch diese Form der Mischkultur wird zudem das Risiko von Schädlingsbefall reduziert. Tarun Baulia ist glücklich, dass er beim Aufbau des Integrierten Anbausystems unterstützt wurde. „Nun blicken wir positiv in die Zukunft. Unser Land ernährt uns wieder, den Überschuss können wir verkaufen. Inzwischen haben wir mit der Reparatur unseres Hauses begonnen, und unser Sohn geht in die örtliche Grundschule.“

Das Integrierte Anbausystem ist nur ein Baustein des Projekts für Klimaanpassungs-Strategien im Dorf Pergumti, das die Indienhilfe vor drei Jahren gemeinsam mit DRCSC deswegen ausgewählt hat, weil es durch den Zyklon Aila stark zerstört und wegen seiner Unzugänglichkeit von der Versorgung durch die staatlichen Katastrophenhilfsprogramme abgeschnitten war. Ziel des Projekts ist es, durch alternative und angepasste Bewirtschaftungssysteme das zerstörte Land wieder für die Menschen wirtschaftlich nutzbar zu machen, so dass sie nicht als Klimaflüchtlinge in den Slums der Städte enden. Im letzten Jahr konnte das Integrierte Anbausystem bei 19 Familien umgesetzt werden, darunter die von  Tarun Baulia, für dieses Jahr sind 21 weitere Familien ausgewählt. Die notwendigen Erdarbeiten wurden bereits im Juli durchgeführt, demnächst wird mit den Anpflanzungen begonnen und in den nächsten Monaten werden die Fische eingesetzt.

Wie bei allen von der Indienhilfe unterstützten Projekten steht auch bei den Maßnahmen in Pergumti das Wohl der Kinder im Mittelpunkt. Während die Ernährungssicherheit durch verschiedene Maßnahmen des Öko-Landbaus wieder hergestellt wird, arbeiten die Projektmitarbeiter auch eng mit ICDS-Zentren2) und Schulen zusammen. Bei einem ersten Treffen mit den Lehrern und Eltern kristallisierten sich zwei Hauptprobleme heraus: Wie sollen wir die Kinder ohne Unterrichtsmaterialien unterrichten? Wie können wir die Ernährungssituation verbessern, damit die Kinder nicht hungrig am Unterricht teilnehmen müssen? Daraufhin organisierten die Projektmitarbeiter einen Workshop, in dem die Lehrer mit einfachen Materialien selbst Lehrmittel herstellten, um die durch den Zyklon zerstörten Materialien zu ersetzen. Um die im Rahmen der staatlichen Schulspeisung zur Verfügung stehenden Mahlzeiten zu ergänzen, unterstützten die Mitarbeiter die Lehrer und Schüler bei der Anlage von kleinen ökologischen Küchengärten (nutrition gardens), mit deren Erträgen das tägliche Mittagessen bereichert wird.

Insgesamt kommt das Projekt 171 Familien zu Gute. Durch die ineinander greifenden Maßnahmen lernen sie, ihren Lebensunterhalt unter den sich durch den Klimawandel ändernden Umweltbedingungen zu sichern.

Wir danken dem AK „Dritte“ Welt Bayreuth und der Indiengruppe Vikas am Christoph Probst Gymnasium Gilching für die Förderung dieses Projekts! Für dieses Jahr haben wir knapp 36.000 Euro für die Maßnahmen in Pergumti  eingeplant - bitte spenden Sie unter dem Stichwort „Pergumti“.

Kostenkalkulation für die Umsetzung eines IFS-Modells pro Familie:

  Kostenpunkt Betrag Euro (Kurs 1:60)
1. Oberflächengestaltung (landshaping) in mehreren Ebenen (Teich mit Uferbefestigungen, Felder, Gestelle) 287,50
2. Unterstützung für Kleintierhaltung incl. Stall 47,90
3. Regenwurmzucht und Anlage von Kompostgruben 19,20
4. Dünger, Saatgut, Fischsetzlinge (fishlings) usw. 38,30
  Zwischensumme 392,90
  abzügl. Eigenarbeit umgerechnet in Stundenlohn ./.   19,20
  insgesamt 373,70

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1) Development Resource and Communications Centre

2) Integrated Child Development Services - staatliche Vorschulen und Mutter-Kind-Zentren mit einem Schwerpunkt auf Ernährung von schwangeren Frauen und Kindern bis sechs Jahren


Frühjahrsinfo 2010:

Klimawandel und Recht auf Bildung prägen Projektreise von Indienhilfe-Mitarbeiterin Sabine Dlugosch

Ernährungssicherheit durch Maßnahmen zur Anpassung an Klimawandel

Pergumti web
Sibani Bhattacharya, Leiterin des Indienhilfe-Kolkata-Büros, im Gespräch mit Einwohnern des Dorfes Pergumti, das vom Zyklon Aila völlig zerstört wurde. Foto: Sabine Dlugosch

„Wir können Euch nichts zeigen, nichts anbieten. Wir haben alles verloren.“ Unter Tränen erzählt uns die alte Frau aus dem Dorf Pergumti, wie sie und ihre Familie den Zyklon Aila überlebt haben, der am 25. Mai 2009 über weite Teile Westbengalens hinwegfegte. Ums Leben kam zum Glück keiner der Dorfbewohner, doch die 700 Familien haben sonst fast alles verloren - ihre einfachen Lehmhütten, aus denen sie nur wenige Habseligkeiten retten konnten; ihr Ackerland, das wegen des eingedrungenen salzigen Meerwassers landwirtschaftlich nicht mehr nutzbar ist; ihre Nutztiere, die in den Fluten ertrunken oder aus Mangel an Süßwasser verdurstet sind.

Am 14. Februar 2010 besuche ich das abgelegene Dorf auf der Insel Samsernagar in den Sunderbans, den Mangrovensümpfen im Ganges-Delta. Bereits die dreistündige Bootsfahrt zeigt, welch verheerende Folgen der Zyklon für das Gebiet hatte. Die über Jahrzehnte errichteten Deiche sind notdürftig wieder stabilisiert, doch die nächste Flut wird sie wieder einreissen. Dort, wo einst Dörfer standen, liegen Ruinen im Wasser, die Reste eines Tempels sind erkennbar. Von vielen Palmen ist nichts übrig als der Stamm, der gerade in den Himmel ragt - die Krone wurde von der Wucht des Sturms weggerissen. Im Dorf Pergumti versperren die Trümmer der eingestürzten Hütten auch neun Monate nach dem Zyklon noch die Dorfstrasse und die meisten Bewohner leben unter menschenunwürdigen Bedingungen in notdürftig errichteten Unterkünften. In jeder Familie haben ein bis zwei Mitglieder (meist junge Männer) das Dorf verlassen, um in benachbarten Bundesstaaten Arbeit zu suchen und das Überleben der Familie zu sichern.

Besonders leiden die Kinder unter der Situation. Ihre ernsten Blicke und traurigen Augen lassen die traumatischen Erlebnisse während des Zyklons erahnen. Ihr gesundheitlicher Zustand ist katastrophal. Der Mangel an sauberem Trinkwasser und Lebensmitteln - die meisten Kinder müssen mit einer halben Mahlzeit oder weniger pro Tag auskommen - verstärken Durchfallerkrankungen, Mangel- und Unterernährung. An der staatlichen Schule bemühen sich die Lehrer, den Unterricht regelmäßig abzuhalten. Doch die Unterrichtsmaterialien, Bücher und Hefte sind nahezu vollständig zerstört, so dass viele Kinder gar nicht erst zur Schule kommen und in die Kinderarbeit abrutschen.

Der Dorfbesuch in Pergumti mit der direkten Erfahrung, welche Auswirkungen der Klimawandel auf jene Menschen hat, die von jeher unter schwierigsten Bedingungen auf den abgelegenen Sunderban-Inseln leben, bewegt mich sehr. Während wir, die Hauptverursacher mit unserem hohen Energieverbrauch, relativ gut geschützt vor Kälte- und Hitzewellen, Starkregen und Stürmen leben, sind diejenigen, die mit ihrem einfachen Lebensstil am wenigsten zum Klimawandel beitragen, am stärksten durch seine Folgen in ihrer Existenz bedroht und werden mehr und mehr ihrer Lebensgrundlage beraubt.

Noch während meines (wie immer privat finanzierten) Aufenthalts in Westbengalen bereiten wir mit unserem Partner DRCSC1) ein dreijähriges Modellprojekt im Dorf Pergumti vor, um die Ernährungssicherheit der Dorfbewohner unmittelbar zu gewährleisten und mit ihnen ein Vorbild für Anpassungsstrategien an die Folgen des Klimawandels zu entwickeln. Ziel ist es, Zukunftsperspektiven für die Kinder zu schaffen und die Dorfbewohner zu befähigen, sich ihre Lebensgrundlagen unter den sich verändernden Umweltbedingungen durch nachhaltige und ökologische Nutzung der Ressourcen zu erhalten.

Recht auf Bildung in Gesetzgebung verankert

Ein wichtiges Thema beim Jahrestreffen unserer Partnerorganisationen Ende Februar ist der „Right to Education Act“, der den kostenlosen und verpflichtenden Schulbesuch von der ersten bis zur achten Klasse für alle Kindern zwischen sechs und vierzehn Jahren gesetzlich festlegt. Für unsere Partner, die sich seit vielen Jahren für das Recht auf Bildung einsetzen, bringt das zum 1. April 2010 in Kraft getretene Gesetz neue Herausforderungen. Bis zur vollständigen Umsetzung der weitreichenden gesetzlichen Vorgaben ist es noch ein weiter Weg, der viel Lobbyarbeit und Nachdruck der Zivilgesellschaft erfordert. In den nächsten Monaten ist im Rahmen des Indienhilfe Netzwerks gegen Kinderarbeit2) eine Fortbildung für die Projektmitarbeiter geplant, um sie über die genauen Inhalte und Umsetzungsmöglichkeiten des Gesetzes zu informieren. Dieses Wissen werden sie an der Basis einsetzen und weitergeben, um mit den Menschen in den Dörfern Druck auf die staatlichen Stellen auszuüben und den Kindern zu ihrem Recht auf Bildung zu verhelfen.

Wie wichtig den Eltern der Schulbesuch ihrer Kinder ist, erfahre ich immer wieder bei den Gesprächen mit den Menschen in den Dörfern und Slums. Eine Mutter, die mit ihrer siebenköpfigen Familie in einem kleinen Verschlag am Straßenrand im Stadtzentrum von Kalkutta, direkt neben dem Abwasserkanal, lebt, antwortet auf meine Frage, ob sie sich vorstellen könne, ihre 12jährige Tochter zur Arbeit statt zur Schule zu schicken, entschieden, dass ihre Tochter nicht einmal Wasser an der öffentlichen Wasserstelle holen müsse - der Schulbesuch der Tochter ist ihr viel wichtiger als deren Mithilfe im Haushalt. Unter keinen Umständen kann sie sich vorstellen, ihre Tochter vorzeitig aus der Schule zu nehmen, um sie zum Arbeiten zu schicken oder minderjährig zu verheiraten. Über den von der Indienhilfe im Rahmen des Nabadisha-Projekts der Women's Interlink Foundation finanzierten Nachhilfeunterricht ist sie sehr froh, denn als Analphabetin kann sie ihrer Tochter nicht bei den Hausaufgaben helfen.

Jugendliche engagieren sich für nachhaltige Dorfentwicklung

Besonders beeindruckt mich das Treffen mit den Jugendlichen des Öko-Clubs im Dorf Paruldanga im Projektgebiet unseres Partners Manab Jamin, die sich für eine umweltfreundliche und nachhaltige Entwicklung ihres Dorfes einsetzen. Im Rahmen des seit fünf Jahren laufenden Öko-Club-Projekts haben alle unsere Projektpartner Jugendliche in Öko-Clubs organisiert, die sich unter fachlicher Anleitung unseres Partners DRCSC mit ökologischen Fragestellungen und Problemen in ihren Dörfern beschäftigen. Neben der inhaltlichen Beschäftigung mit Umweltthemen ist die Vermittlung von Fähigkeiten wie Datensammlung und -auswertung, Erstellung von Postern und Präsentationen etc. zentraler Bestandteil des Projekts.

Aus der ersten Generation der Öko-Club-Kinder, die inzwischen zu Jugendlichen herangewachsen sind, wurden im vergangenen Jahr Mädchen und Jungen mit besonderen Führungsqualitäten ausgewählt und in speziellen Trainings darauf vorbereitet, neue Öko-Clubs mit jüngeren Kindern anzuleiten. Während die Öko-Clubs bisher vor allem Kampagnen zur ökologischen Bewusstseinsbildung organisierten, sind in diesem Jahr zusätzlich konkrete klima- und umweltfreundliche Modelle (z.B. biologische Küchen- und Heilkräutergärten, Kompost- und Biogasanlagen, einfache Solarkocher) in den Dörfern geplant.

Trotz der zahlreichen Erfolge bleibt noch viel zu tun….

Nach fünf Wochen Projektreise kehre ich mit vielen Eindrücken nach Herrsching zurück. Erschüttert bin ich immer wieder über die extreme Armut und die menschenunwürdigen Verhältnisse, unter denen viele Menschen in Indien, vor allem in den ländlichen Gebieten und in den Slums der Großstädte, noch immer leben müssen. Dankbar bin ich für die Erfahrungen und Gespräche bei den Dorfbesuchen, die mir zeigen, wie unsere Partner die Ärmsten der Armen befähigen, einen Weg aus Hunger und Armut zu finden, den Teufelskreis zu durchbrechen und Zukunftsperspektiven für ihre Kinder zu schaffen. Es sind die vielen kleinen Schritte und Erfolge, die eine dauerhafte und nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen, vor allem der Kinder bringen. Noch sind viele, viele weitere Schritte notwendig, um allen Kindern den Weg in eine bessere Zukunft frei von Kinderarbeit zu ermöglichen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind wir weiterhin auf Ihre Unterstützung angewiesen - bitte unterstützen Sie uns auch 2010 mit Ihren Spenden!

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1) Development Research and Communication Services Centre

2) IHNACL - Indienhilfe Network Against Child Labour


Herbstinfo 2009:

Öko-Dorf Dwip Media: Einkommenschancen für Kleinbauern und Beitrag zum Klimaschutz
(Sabine Dlugosch)

Village Harishpur
Humayun Kabir, Leiter der landwirtschaftlichen Aktivitäten bei Vikas Kendra, erläutert den Frauen einer Selbsthilfe-Gruppe die Vorteile des Ökolandbaus - für die Gesundheit ihrer Familien und für die Umwelt. Foto: Vikas Kendra

„Weil ich keine teuren Pestizide kaufen musste, habe ich viel Geld gespart! Kuhdung habe ich genug von meiner Kuh. Außerdem habe ich die hohen Arztkosten gespart, weil ich keine giftigen Chemikalien gesprüht habe.“ freut sich der Kleinbauer Gopal Mondal aus dem Dorf Dwip Media. Wie jedes Jahr hatte er auf seiner kleinen Ackerparzelle Kohl angebaut, doch schon nach wenigen Wochen begannen die Blätter zu faulen. Bei einer Fortbildung unseres Projektpartners Vikas Kendra zu Bio-Pestiziden lernte Gopal Mondal, dass eine Mischung aus Kuhdung und Wasser ein gutes Mittel gegen Blattfäule ist. Sofort sprühte er sein Feld regelmäßig mit der Flüssigkeit ein und schon bald erholten sich die Blätter. Doch das nächste Übel ließ nicht lange auf sich warten: Blattläuse. Wie in der Fortbildung gelernt, hatte Gopal Mondal jedoch Senfkörner zwischen dem Kohl und am Rand des Feldes gesät. Die gelben Senfblüten zogen die Blattläuse an und der Schaden für die Kohlpflanzen hielt sich in Grenzen. Nun ist Gopal Mondal überzeugter Bio-Bauer und teilt sein Wissen bei jeder Gelegenheit mit anderen Bauern.

Auch Purnima Mondal lebt in Dwip Media und hat an einer Schulung von Vikas Kendra teilgenommen. Sie erzählt: „Nachdem ich den Reis geerntet hatte, pflanzte ich in den noch feuchten Ackerboden Kartoffelknollen ein und düngte sie mit Kuhmist. Anschließend deckte ich die Knollen mit einer 3 bis 4 cm dicken Schicht aus getrockneten Wasserhyazinthen, Stroh und anderen pflanzlichen Materialien ab. So musste ich das Land nicht zusätzlich bewässern. Obwohl es zu wenig geregnet hat, konnte ich pro katha (= 266 m2) 150 kg Kartoffeln ernten.“ Mit dieser Anbaumethode erzielten Purnima Mondal und fünf weitere Bauern einen Gewinn von 831 Rupies (13,85 Euro) pro katha Land (siehe Kasten).

Gopal und Purnima sind nur zwei der 116 Kleinbauern - alle Angehörige der unteren Kasten (scheduled castes) - aus dem Dorf Dwip Media, das Vikas Kendra zu einem Modell-Dorf für ökologischen Landbau entwickeln möchte. Innerhalb von vier Jahren sollen mindestens 75%1) der 62 Hektar Ackerland dauerhaft auf ökologischen Anbau umgestellt sein. Ausgewählt wurde Dwip Media aufgrund seiner besonderen Lage: Auf drei Seiten wird es vom Fluss Ichhamati umschlossen, auf der vierten Seite befindet sich ein Kanal, über den eine schmale Brücke in das von extremer Armut geprägte Dorf führt - die einzige Verbindung zur Außenwelt. So wird die Kontamination durch auf benachbarten Feldern versprühte Chemikalien immer weiter reduziert, je mehr Bauern in Dwip Media auf den Einsatz von Pestiziden verzichten. Ferner sind die Anbaubedingungen in Dwip Media für die konventionelle Landwirtschaft ungünstig: der Lehmboden ist stark salzhaltig und die Bewässerung hängt von den Regenfällen ab, so dass die meisten Familien, die überwiegend Reis, Jute und Hülsenfrüchte anbauen, mit nur einer Ernte pro Jahr auskommen müssen. Öko-Landbau und angepasste Technologien kön-nen hier erhebliche Verbesserungen bringen.

Seit April 2007 führen die landwirtschaftlichen Mitarbeiter von Vikas Kendra in Dwip Media Motivationstreffen, Schulungen und Trainings mit den Frauen-Selbsthifegruppen (SHGs), den kommunalen Dorf-Entwicklungsausschüssen und Bürgerversammlungen, den örtlichen Vereinen und vor allem natürlich den Bauern durch, um sie von den Vorteilen des Öko-Landbaus zu überzeugen.

Eine wichtige Maßnahme ist die Anlage von Demonstrationsflächen für den Bio-Anbau einheimischer Gemüsesorten in Mischkulturen und von Kompostanlagen. Erfolgreich ist auch die Einführung eines Integrated Farming Systems, bei dem Tier- und Pflanzenzucht integriert werden, z.B. Fischzucht in den gefluteten Reisfeldern und Bio-Anbau von Futtergräsern für das Vieh. Bei einer monatlichen Pflanzen-Sprechstunde können Bauern von Krankheiten befallene Pflanzen einem Experten zeigen, der sie berät, wie sie das Problem auf ökologische Weise lösen können. Eine Baumschule für die Aufforstung mit einheimischen wichtigen Baumarten für verschiedene Nutzungen wurde angelegt - 3.500 Baumsetzlinge wurden zum Schutz vor Bodenerosion bei Überschwemmungen an den der Fluss-Seite zugewandten Rändern der landwirtschaftlichen Flächen gepflanzt.

Neben dem Schutz der Umwelt und der Verbesserung der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Situation der Familien spielen auch Aspekte des Klimaschutzes eine wichtige Rolle - ökologische Landwirtschaft produziert u.a. weniger CO2 als konventionelle Landwirtschaft. Gerade im Hinblick auf die lebensräumlichen Veränderungen aufgrund des Klimawandels (z.B. Versalzung und Überflutung von Ackerland) werden wir in unseren Projekten künftig vermehrt Aspekte der ökologischen Landwirtschaft aufgreifen. Um hier die richtigen Wege zu gehen, wird momentan eine Evaluierung des Öko-Landbau-Projekts unseres Partners Manab Jamin im Birbhum Distrikt durchgeführt.

Insgesamt haben wir knapp 2.900 Euro für die landwirtschaftlichen Aktivitäten bei Vikas Kendra bewilligt. Etwa 700 Euro fehlen uns noch!

Spendenstichwort „Öko-Landbau“!

Besonders danken wir dem AK „Dritte“ Welt Bayreuth für die jahrelange Unterstützung der landwirtschaftlichen Aktivitäten von Vikas Kendra!

Kosten-Nutzen-Rechnung Kartoffelanbau pro katha:

Ausgaben:          
Kosten der Pflanzenknollen 8 kg x 8 Rs           = 64 Rs 1,07 €
Biologischer Dünger    125 Rs 2,08 €
Arbeitskosten   3 Arbeiter x 60 Rs = 180 Rs 3,00 €
       
Gesamtausgaben     369 Rs 6,15 €
       
Verkauf der geernteten Kartoffeln: 150 kg x 8 Rs = 1.200 Rs 20,00 €
       
Gewinn 1.200 Rs minus 369 Rs = 831 Rs 13,85 €

 

1) Ursprünglich waren nur 50% geplant, aufgrund der Erfolge in den ersten beiden Jahren wurde das Ziel erhöht.

Sommerinfo 2009 - Editorial der Indienhilfe-Vorsitzenden Elisabeth Kreuz

Liebe Freunde und Freundinnen der Indienhilfe, liebe Mitglieder und Spender/innen,

Aila
Die Sundarban-Region nach dem Zyklon Aila
Foto: DRCSC

dieses Bild geht mir nicht mehr aus dem Kopf: eine bewegte bläuliche Wasserfläche, im Hintergrund ein Erddamm, grünes Gebüsch und davor etwas Buntes, das aus dem Wasser herausschaut. Beim genaueren Blick auf das Digitalfoto, das einer unserer Partner vor wenigen Tagen gemailt hat, erkenne ich den aufgedunsenen auf dem Rücken schwimmenden Körper eines kleinen Jungen, etwa vier Jahre alt, und den von einem bunten Sari nur teilweise verhüllten Körper einer jungen Frau, auf dem Bauch treibend, einen Arm über die Beine des Kindes gelegt. Ich stelle mir vor, wie sie, ihr Kind auf dem Arm, an jenem 25. Mai dieses Jahres aus ihrer Lehmhütte in einem Dorf im Hingalganj Block, Distrikt North-24-Parganas, Gangesdelta, vor dem Zyklon Aila floh und von den reissenden Wassermassen eingeholt wurde...

Zwei der vermutlich 117 Toten, die Aila in Westbengalen gefordert hat. Zwei Menschen in einem dicht besiedelten Gebiet, das auf Meeresspiegelhöhe liegend von den sich wegen des Klimawandels häufenden Zyklonen, Starkregen und dem Anstieg des Meeresspiegels extrem bedroht ist. Von den Weltmedien wurden sie ignoriert, die tote Mutter und ihr toter Sohn, die da in der weiten Wasserlandschaft treiben. So wie all die anderen Opfer Ailas - neben den toten Menschen zahllose ertrunkene Tiere, entwurzelte Bäume, 600.000 beschädigte/zerstörte Lehmhütten und Häuser, mit denen oft alle Habseligkeiten der Bewohner vernichtet sind, 4,6 Millionen betroffene Menschen, davon 130.000 in 530 Notlagern untergebracht, durch Salzwasser und Kontamination unbrauchbar gemachte Trinkwasserbrunnen und Felder, vernichtete Ernten, mehr als 4.000 Kilometer zerstörter Flussdeiche - eine ständige Bedrohung gerade jetzt, zu Beginn der Monsunzeit. In 13 der 19 Distrikte Westbengalens bis hinauf nach Darjeeling und auch in Bangladesh hat  Aila eine Spur der Verwüstung hinterlassen.

Dass es nicht mehr Tote gab, ist kein Zufall: Die Frühwarnsysteme der Regierung sind in den letzten Jahren verbessert und die Bürger in vielen der mehr als 25.000 betroffenen Dörfer in “Disaster Preparedness” geschult worden. Die Menschen wussten, was im Katastrophenfall zu tun war und die meisten konnten sich auf höher gelegenem Land, auf Hausdächern, in Bäumen in Sicherheit bringen. Innerhalb von 24 Stunden kam die State Inter Agency Group Westbengalens zusammen, Vertreter der wichtigen internationalen und nationalen NGOs1) sowie von UNICEF und UNDP, um ihre Maßnahmen abzustimmen. Die NGOs wollen die Hilfsaktionen der Regierung, die bislang 20 Millionen € bereitgestellt hat, ergänzen, nicht ersetzen, z.B. bei der Erstversorgung abgelegener Gebiete durch freiwillige Helfer, bei der Erfassung der Schäden und deren zügiger Meldung an die zuständigen staatlichen Stellen, bei der Organisation einer gerechten Verteilung der Hilfen an die wirklich Bedürftigen und schließlich bei der Organisation der Rehabilitierungsmaßnahmen.

NGO-Mitarbeiter arbeiten sich oft als erste in die betroffenen Gebiete vor. Auch unsere Partner Swanirvar und DRCSC sind an vorderster Front dabei. Über ihre Verbindungen mit lokalen Bürgerinitiativen, Bauern- und Frauen-Selbsthilfegruppen und kommunalen Gremien stellen sie den örtlichen Hilfsbedarf fest. DRCSC ermittelte 54.000 betroffene Familien in 233 Dörfern, um die sie sich kümmern können, mit einen Finanzbedarf von ca. 160.000 € für die Erstversorgung - 3 € pro Familie. Die NGOs transportieren zu Land und per Boot Trockennahrung, Trinkwasser, Mittel zur Wasserdesinfektion, Medikamente, Kleidung und Hygieneartikel als Akuthilfe in die Dörfer und Auffanglager. Die organisatorische Hilfe der NGOs wird auch für die dringende Reparatur der Flussuferbefestigungen benötigt. Bei jeder Flut strömt im Küstengebiet Meerwasser flussaufwärts, tritt ohne Deiche über die Ufer, überschwemmt die Dörfer und versalzt das Agrarland. Unsere Partner kooperieren mit den kommunalen Gremien und arbeiten im Katastrophen-Rehabilitations-Ausschuss auf Bezirksebene mit.

In Indien hilft jeder nach seinem Vermögen - während Cricketstar Sourav Ganguli 6 Mio. Rupies (etwa 92.000 €) zugesagt hat, spendeten Swanirvars bescheiden bezahlte landwirtschaftliche Mitarbeiter spontan einen Tageslohn. Aus unserem zur Neige gehenden Notfallfonds vor Ort haben wir sofort 100.000 Rs, ca. 1.500 €, zur Verfügung gestellt. Viel mehr wird gebraucht! Helfen Sie den Opfern des Zyklons und des Klimawandels mit Ihrer Extra-Spende auf unser Projektkonto unter dem Stichwort Aila!

In der Katastrophe bewährt/e sich die indische Zivilgesellschaft. Dass sie so stark werden konnte und so besonnen, wie es sich auch im Wahlergebnis der diesjährigen Parlamentswahl widerspiegelt2), verdankt sie nicht zuletzt der zähen Arbeit der indischen NGOs und weltweiter Solidarität. Sie, liebe Spender und Spenderinnen, haben im Verein mit der Indienhilfe einen Beitrag geleistet zu gelingender „Hilfe zur Selbsthilfe“ und „Empowerment“ von Benachteiligten (insbesondere Adivasi, Dalits, Frauen, Behinderten, Kinderarbeitern) in Westbengalen und Orissa.

Für die Indienhilfe und ihre Partner geht die Arbeit der kleinen Schritte weiter - wir wollen die Ärmsten der Armen erreichen. Ich danke Ihnen für Ihre großartige Unterstützung im letzten Jahr und bitte Sie: helfen Sie uns auch 2009 mit Ihrer Spende!

Ich wünsche Ihnen einen guten Sommer

mit Zeit für das, was Ihnen wichtig ist, Ihre Elisabeth Kreuz


Sommerinfo 2009:

Wenn die Natur tobt, sind wir Menschen ihr hilflos ausgesetzt!“
Indienhilfe-Partner im Kampf gegen Klimawandel und Erderwärmung

Sabine Dlugosch

„Seit Wochen haben wir Temperaturen über 40°C. Die Felder sind vertrocknet, die unreifen Früchte fallen von den Bäumen - die Bauern sind verzweifelt. Große Dorfteiche sind ausgetrocknet, in vielen Dörfern wird das Trinkwasser knapp.“ Was Srikanta Mondal, Leiter des Manab Jamin Projekts, im April aus dem Birbhum Distrikt berichtet, betrifft alle unsere Partner in Westbengalen und Orissa, die unter einer Hitzewelle leiden. Gleichzeitig fürchten sie den kommenden Monsun, der neben der ersehnten Abkühlung die Gefahr von Zyklonen und Überschwemmungen erhöht (siehe Editorial).

Von Überschwemmungen, Dürren, Unwettern und anderen extremen Klimabedingungen sowie der Versalzung oder gar Flutung ganzer Gebiete durch den steigenden Meeresspiegel sind gerade die Länder des Südens am Schlimmsten betroffen. Verlust und Zerstörung ihres spärlichen Besitzes treiben die bereits unter dem Existenzminimum lebenden Men-schen noch tiefer in die Armut. Dabei tragen gerade sie am wenigsten zum Klimawandel bei - der CO2-Ausstoss eines einzigen Deutschen entspricht dem von zehn Indern!

Dennoch haben sich unsere indischen Partner verpflichtet, Maßnahmen zu Klimaschutz und CO2-Reduktion aufzugreifen. Neben Aufklärungskampagnen über Ursachen und Folgen des Klimawandels geht es ganz konkret vom eigenen sparsamen Umgang mit Licht, Ventilatoren, Generatoren über den Ersatz normaler Glühbirnen durch Energiesparlampen bis zu kraftstoffsparendem Fahrstil. Die Förderung von Ökolandbau und Aufforstung, die Anlage von Küchengärten und Biogasanlagen sowie der Einsatz von Solarkochern und -leuchten gehören zu den in den Dörfern geplanten Klimaschutzaktivitäten. Präventiv werden die Dorfbewohner in Katastrophenschutz-Maßnahmen geschult, wie z.B. der Schaffung von Früherkennungs- und Warnsystemen und dem Aufbau von Rettungs-Teams.

Anshuman Das, Geschäftsführer unseres Partners DRCSC,1) leitet die Klimaschutzaktivitäten aller Partner fachlich an. Auch auf internationaler Ebene (z.B. beim Weltklimagipfel 2009 in Kopenhagen) beschäftigt DRCSC sich mit den Folgen des Klimawandels und gerechten Lösungsansätzen.

In den Öko-Clubs in all unseren Projekten, in denen sich Schülerinnen und Schüler in Theorie und Praxis mit Umwelt und Kinder-rechten auseinandersetzen, sind Ursachen und Folgen des Klimawandels wichtiges Thema und die Schüler erlernen umwelt- und klimafreundliches Verhalten.

Für zusätzliche Klimaschutz-aktivitäten unserer Partner - neben zahlreichen bereits länger laufenden - haben wir 3.500 € zur Verfügung gestellt. Bitte spenden Sie unter dem Stichwort „Klima“.

Für das ebenfalls von DRCSC koordinierte Öko-Club-Projekt benötigen wir 2009/10 knapp 8.500 €  -  Stichwort „Öko-Clubs“.


Indienhilfe-Herbstinfo 2008:

Heftige Überschwemmungen im Midnapur-Distrikt: Zwei Projekte der Indienhilfe schwer betroffen
(Sabine Dlugosch)

Midnapur Überschwemmung
Bewohner des Dorfes Sarisa versuchen, noch brauchbare Gegenstände aus ihrem von der Überschwemmung zerstörten Haus zu retten. Foto: Sudarsan Dey

„Dreimal habe ich in den letzten zwei Jahren mein Haus wieder neu aufgebaut. Und bei der letzten Flut saß ich 24 Stunden lang auf einem Baum, um nicht von den Fluten mitgerissen zu werden!“ Resigniert starrt der 62-jährige Tapan Murmu auf die eingefallenen Reste seiner Lehmhütte. Über 20.000 Menschen in den beiden Indienhilfe-Projekten im West-Midnapur-Distrikt waren Anfang Juli von heftigen Überschwemmungen betroffen. Ganze Dörfer wurden weggeschwemmt oder von der Außenwelt abgeschnitten. Viele der Adivasi-Familien verloren in den Wassermassen Haus, Saatgut, ihren kümmerlichen Hausrat, Kleidung und ihre Reisvorräte. Ertrunkene Kühe kontaminierten das Wasser. Viele Männer migrierten kurzfristig, z.T. in andere Bundesstaaten, auf der Suche nach Arbeit für das "tägliche Brot“.

Vor allem Frauen und Kinder mussten in Notlagern untergebracht werden, wo die Projektmitarbeiter sofort mit der Verteilung von Lebensmitteln, sauberem Trinkwasser und Planen begannen. Eine internationale Katastrophenorganisation hatte das gut organisierte IDP-Midnapur-Team mit der Verteilung der Hilfsgüter betraut.

Durch das stehende Wasser brach in den Projektdörfern von Ektagram Vikas Samiti die lebensbedrohliche  Malaria Tropica aus. Mehrere Kinder aus unseren elf Nachhilfezentren mussten zur Behandlung in staatliche Krankenhäuser. Für einen 40jährigen Familienvater kam jede Hilfe zu spät, er starb im Krankenhaus. Unermüdlich war das EVS-Projekt-Team im Einsatz, um die Epidemie mit Hilfe traditioneller Heilpflanzen zu bekämpfen, an jeden Haushalt ein aus Heilpflanzen hergestelltes Moskito-Repellent zu verteilen und den Gebrauch von Moskitonetzen zu propagieren. Weil sie für arme Familien unerschwinglich sind, hat die Indienhilfe aus dem Notfallfonds 100 Familien-Moskitonetze für die allerärmsten finanziert. Die in den Öko-Clubs1) engagierten Schüler desinfizierten die Brutstätten der Malaria-Moskitos und setzten in den Teichen Gappi-Fische aus, die sich von Moskito-Larven ernähren. Die jungen Nachhilfelehrer in den zehn neuen Projektdörfern engagierten sich vorbildlich bei der Eindämmung der Epidemie.

Inzwischen hat sich die Lage etwas entspannt. Nun gilt es, die Menschen besser auf die zunehmenden Überschwemmungen vorzubereiten (Disaster Preparedness). Um physische, soziale und politische Präventionsmaßnahmen zu entwickeln, müssen die Hauptursachen identifiziert werden. Eine wesentliche Rolle spielt der globale Klimawandel, der zu extremen Niederschlägen führt - dieses Jahr in drei Tagen die Regenmenge der gesamten Monsunzeit! Auch die vom Menschen verursachten Veränderungen der naturräumlichen Gegebenheiten wirken sich aus: Eine Studie zur Biodiversität ergab z.B., dass vor zwei Jahren große Bäume am Flussufer illegal gefällt worden waren, die bis dahin einen natürlichen Schutz gegen die Wassermassen geboten hatten. In den Medien wurde die unangekündigte Öffnung eines Staudamms durch die Regierung Westbengalens diskutiert. Gerüchte besagen, dass es sich dabei um einen Racheakt für die verlorenen Kommunalwahlen im Mai  2008 handelte2).

Für die Mobilisierung schneller und zuverlässiger Hilfe im Katastrophenfall sind zwei Faktoren entscheidend: geschulte Mitarbeiter und Ehrenamtliche, die die Hilfsmaßnahmen umsetzen, und eingespielte Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen.

Für die Nutzung staatlicher Armutsprogramme leistet das IDP-Midnapur-Projekt Vorbildliches: Umsetzung des Mindest-Arbeitsgarantiegesetzes für die Verbesserung der dörflichen Infrastruktur, Vermittlung staatlich subventionierter Krankenversicherungen für über 600 Adivasi-Familien, um im Krankheitsfall nicht dem Geldverleiher ausgeliefert zu sein. Oder, besonders erfolgreich: dörfliche Beratungsstellen, die über Regierungsprogramme informieren und beim Ausfüllen der Formulare helfen. Im Bereich der Bildungs- und Gesundheitsarbeit kann das IDP-Team beste Erfolge vorweisen: bei den Kindern zwischen 3 und 14 Jahren gibt es fast keine Schulabbrecher mehr und die Impfrate liegt bei fast 100 %. Fast alle schwangeren Frauen nehmen Vor- und Nachsorgeuntersuchungen in Anspruch und bringen, staatlich gefördert, ihre Kinder im Krankenhaus zur Welt. Insgesamt wurden im IDP-Projekt 2007/08 neben sonstigen Unterstützungen ca. 125.000 € an staatlichen Geldern vermittelt!

2008/09 haben wir 52.500 € für die Verbesserung der Lebensbedingungen der 5.500 Adivasi-Familien in 77 Dörfern bewilligt, von denen noch ca. 30.000 € fehlen. Spenden-Stichwort „IDP Midnapur“