Gesundheit
Indienhilfe-Sommerinfo 2015
Notfallfonds der Indienhilfe: Lebensnotwendige Operation für Tochter eines Taglöhners
Am 3.12.2014 erreichte uns der Notruf unseres Partners Lake Gardens Women & Children Development Centre Kalkutta: Tumpa H., 13 Jahre, Tochter eines Taglöhners und einer Haushaltshilfe, täglich zur Hausaufgabenbetreuung im Centre, hat erneut die Diagnose Krebs bekommen! Bereits 2012 hatte die IH die operative Entfernung eines bösartigen Tumors im Mundbereich über den IH-Notfall-Fonds finanziert. Tumpa hatte sich erholt und wieder gut in die Schule eingegliedert. Nun hatte sich ein Rezidiv entwickelt, das sofort operiert werden musste. In ihrem Kummer setzte die Familie alle Hebel in Bewegung, lieh sich Geld von Verwandten und Freunden; die Mutter nahm einen Kredit in ihrer Frauen-Selbsthilfe-Gruppe auf, um die 1.300 Euro für die komplizierte Operation aufzubringen, bei der Knochen und Muskelmasse entfernt und durch an anderer Stelle entnommenes Material ersetzt werden mussten. IH-Mitarbeiterin Marion Schmid, die zu ihrem ersten Projektbesuch in Indien weilte, besuchte Tumpa im Krankenhaus. Sie fand das Mädchen erschöpft und mit verschwollenem Gesicht vor, doch auf dem Weg der Besserung. Die Mutter hatte sich einen Monat unbezahlten Urlaub genommen, um ihr Kind versorgen zu können, vor allem auch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus.
Die IH beschloss, die Operationskosten in voller Höhe zu übernehmen; die Familie hatte immer noch all die Kosten für Untersuchungen, Medikamente und Verbandsmaterial aufzubringen und den Verlust eines ganzen Monatseinkommens der Mutter zu verschmerzen. Der Betrag wurde direkt auf das Konto von Tumpas Mutter überwiesen. Die Familie kann nun ihre Schulden zurückzahlen und sich auf die Genesung ihrer Tochter konzentrieren.
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Der Notfallfonds (Emergency Fund) der Indienhilfe ist ein humanitäres Instrument, um in außergewöhnlichen Notfällen individuell und unbürokratisch finanziell unter die Arme greifen zu können. Nach genauer Prüfung des Falles, Vorlage der Belege und Empfehlung durch die IH-Experten vor Ort entscheidet die IH über die Freigabe der Mittel. Der Fonds wird von IH-Partner Seva Kendra Calcutta treuhänderisch verwaltet. Derzeit beträgt die Reserve ca. 5.000 Euro. Spenden unter dem Stichwort "Notfall-Fonds".
Indienhilfe-Herbstinfo 2010
Zentrum für Adivasi-Heilkunde jetzt auch für Kinderrechte
und Frauen-Power in den Dörfern aktiv
(Sabine Dlugosch)
Schwach flackert die Glühbirne am Holzmast auf der staubigen Dorfstraße. Jeden Moment droht sie zu erlöschen - doch sie kämpft, hält durch und taucht die Umgebung in schwaches Licht. Die Bewohner des Dorfes Ektagram, mitten in den Wäldern des West Midnapur Distrikts im südlichen Westbengalen, sind stolz auf „ihre“ Glühbirne, die sie mir bei meinem abendlichen Dorfbesuch im Februar 2010 sofort zeigen. Für die Menschen, meist Adivasi (Stammesangehörige), die hier in extremster Armut Jahrzehnte ohne Strom lebten und jeden Tag erneut ums Überleben kämpfen, ist die Glühbirne mehr als eine Lichtquelle, sie ist Zeichen des Fortschritts und der Hoffnung. Als Tagelöhner ohne eigenes Land verdienen die Menschen kaum genug, um ihre Familien zu ernähren. Meist reicht es nur für eine karge Mahlzeit aus Reis, mit etwas Salz und einer grünen Chili-Schote. Vor allem die Kinder leiden an Mangelerscheinungen und Unterernährung, aber auch die Erwachsenen sind geschwächt und anfällig für Krankheiten. Durchfallerkrankungen, Tuberkulose, Lepra, einfache Erkältungen sind weit verbreitet und führen oft zum frühzeitigen Tod, weil die Kosten für Medikamente und ärztliche Behandlung unbezahlbar sind. Auch die Bildungssituation ist katastrophal: Viel zu viele Kinder brechen die Schule vorzeitig ab, ohne Lesen, Schreiben und Rechnen zu können, und haben wenig Chancen, dem Teufelskreis der Armut zu entkommen.
Die Aktivitäten unseres Partners Ektagram Vikas Samiti (EVS)1) verbessern die Lebensbedingungen mittlerweile langsam, und die Menschen schöpfen Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben. Nach 15 Forschungsjahren in den Wäldern Westbengalens und Orissas gründeten die Ethno-Botanikerin Saraswati Mondal und der Pathologe Raju Das 1999 ihr Zentrum für Adivasi-Heilkunde in einem der abgelegensten und allerärmsten Gebiete. Dort kultivieren und sammeln sie Hunderte teils rarer Heilpflanzen und stellen daraus selbst entwickelte standardisierte Heilmittel her, deren Anwendung und Wirkung sie sorgfältig dokumentieren und wissenschaftlich auswerten. In einer kleinen dörflichen Gesundheitsstation und mobilen Sprechstunden in weitem Umkreis behandeln sie Tausende von Menschen mit indigenen Heilmitteln und erzielen besonders bei chronischen Krankheiten, sogar Lepra und Tuberkulose, große Erfolge. Zur medizinischen Versorgung möglichst vieler Menschen bauen Saraswati und Raju mit der Zeit in entfernteren Dörfern eine „Health Task Force“ auf, die einfache Krankheiten diagnostizieren und mit indigenen Heilmitteln behandeln kann. Bei monatlichen Treffen besprechen die 52 geschulten Gesundheitsarbeiter ihre Fragen und Probleme mit Saraswati und Raju und nehmen regelmäßig an Auffrischkursen teil. Die Weitergabe des Wissens um die Adivasi-Medikamente birgt jedoch das Risiko des Missbrauchs durch kommerzielle Interessen. Daher ließen Saraswati und Raju im vergangenen Jahr eine Handelsmarke auf fünf ihrer selbst entwickelten Heilmittel eintragen und beantragen für diese heuer ein Patent, das ihr geistiges Eigentum schützt und sicherstellt, dass das traditionelle Heilwissen für die Adivasi zugänglich bleibt.
Neben der medizinischen Versorgung begann EVS vor fünf Jahren, in elf Adivasidörfern mit einem ganzheitlichen Entwicklungsansatz für die Verbesserung der Situation der Kinder zu arbeiten. Ausgangspunkt für die Aktivitäten sind die von EVS initiierten dörflichen Nachhilfezentren, in denen 580 eingeschulte Kinder in ihrer körperlichen, geistigen und schulischen Entwicklung unterstützt und gefördert werden. Seit letztem Jahr sind die Nachhilfelehrer zusätzlich zum Unterricht für die gesamte Dorfentwicklung aktiv. Innerhalb eines Jahres gründeten sie 25 Selbsthilfegruppen (SHGs), in denen sich vor allem die Mütter, teilweise auch die Väter, zu kleinen Spargruppen zusammenschließen, und halfen ihnen bei der Eröffnung eines Bankkontos zur Einzahlung der monatlichen Sparbeiträge und zur Abwicklung der kleinen Kredite für einkommenschaffende Maßnahmen. Für die Dorfentwicklung spielen die SHGs eine wichtige Rolle, indem sie sich mit Unterstützung der EVS-Mitarbeiter für die korrekte Umsetzung der staatlichen Entwicklungsprogramme in ihren Dörfern einsetzen. So informierte der Dorfentwicklungsarbeiter im Dorf Ramchandrapur die SHG-Mitglieder über den verzögerten Baubeginn der Dorfschule, die bereits im Jahr 2005 von der Regierung bewilligt worden war. Am nächsten Tag stellten die Frauen den verantwortlichen Beamten zur Rede, der daraufhin innerhalb kürzester Zeit den Baubeginn veranlasste.
23.000 € bewilligten wir für die laufenden Projektaktivitäten von EVS, sowie 11.000 € für einen dringend benötigten Ambulanzwagen für die mobilen Sprechstunden und den Krankentransport in das 80 km entfernte staatliche Krankenhaus. Ganz herzlich danken wir der Europe Third World Association am Europäischen Patentamt, die das Projekt letztes Jahr mit einer einmaligen Sonderspende unterstützt hat.
Spenden- Stichwort „EVS“
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1) Zum Schutz der Personen und ihres Wissens um traditionelle Heilpflanzen sind die Namens- und Ortsangaben verändert.